Vergaserkrise

Vergaser zerlegen ist Volkssport Nummer eins. Weisheiten über Simson Vergaser der Marke BVF gibt es zuhauf im Netz. Und wie alles im Netz ist das zu 80% großer Käse. Der Gipfel der Verzweiflung ist der Rat, einen Bing Vergaser einzubauen, weil der "besser funktioniert". Man sieht, das Problem liegt oft nicht vor dem Ansaugstutzen, sondern zwischen den Ohren des Schraubers.
Anlass zur Klage ist neben Dreck im Vergaser (wo der herkommt wissen wir ja, siehe "Rost im Tank") nicht die Möglichkeit, dass man dieses eigentlich überschaubar komplizierte Bauteil nicht einstellen muss, sondern einstellen KANN. Sobald die Simme nicht mehr wie gewünscht läuft, rückt man dem arglosen Vergaser mit dem Schraubenzieher zuleibe. Aus Hilflosigkeit. Oder Blödheit.
Verbaut wurde 16N1 und 16N3 Vergaser, die Nachsetznummer bezeichnet die Versionierung. Der Unterschied liegt in der Bedüsung. Laufen sollten die Mopeds mit allen Typen. Wertvolle Aufklärungsarbeit hierzu liefern z.B. die Mopedfreunde Oldenburg. "Du hast ja auch den 16N1-6 und nicht den 16N1-11 drin" ist also kein geeigneter Hinweis der einem Reparaturfortschritt in irgendeiner Weise dienlich ist.
Der BVF Vergaser besteht eigentlich aus drei Systemen: Startvergaser (Choke), Leerlaufsystem und Hauptsystem. Jedes System macht seinen Job. Wenn man es lässt. Der Startvergaser besteht aus einem Luftkanal, der hinter dem Schieber in den Ansaugstutzen mündet. Auf halbem Wege streicht er über das kurze Steigrohr mit Starterdüse, das durch einen auf der Stirnseite mit Gummi bewehrten Kolben verschlossen wird. Zieht man den Chokezug wird der Kolben geöffnet und der Startvergaser ist in Aktion. Nach dem Zurücksetzen des Chokehebels wird das Steigrohr mit dem Gummi wieder verschlossen. Man kann den Kolben herausschrauben (SW12) und kann normalerweise den Abdruck des Steigrohrs auf der Stirnseite erkennen. Eingebaut sollte der Zug bei nicht betätigtem Zug - wie der Gaszug auch - 1-2mm Spiel haben. Hat er das nicht, verschließt der Kolben nicht richtig und der Motor läuft zu fett. Mehr Schabernack kann man mit dem Leerlaufsystem treiben, weshalb beim 16N3 die Gemischeinstellschraube erst nach dem Entfernen eines Stopfens zugänglich ist. Schraubt man diese heraus, wird das Gemisch fetter, rein bedeutet magerer. Die Leerlaufdrehzahl stellt man beim 16N3 über die Umluftschaube ein, die die Luftzufuhr des vollständig separaten Systems beeinflusst. Beim 16N1 geschieht das noch über die Anschlagschraube des Luftschiebers. Jegliche Einstellungen an diesen beiden Schrauben verändern lediglich den Motorlauf im Leerlauf des (warmen) Motors.
Für das Verhalten im Fahrbetrieb ist ausschließlich das Hauptsystem zuständig. Einstellen kann man zumindest über Schrauben nichts. Zieht man das Gas stetig auf, so öffnet die konische Düsennadel einen größer werenden Ringspalt zum Steigrohr der Hauptdüse. Bei Vollgas ist das Steigrohr vollständig freigegeben und die Kraftstoffmenge wird nur noch durch den Durchmesser der Hauptdüse begrenzt.
Bei Vollgas wird also die Gemischzusammensetzung allein durch die Hauptdüse bestimmt. Die einstellbare Höhe der Düsennadel bestimmt die Gemischzusammensetzung im Teillastbereich. Die sollte bei serienmäßigen Motoren da sein, wo sie hingehört (normalerweise Fixierung in der 4. Kerbe von oben).
Eigentlich funktioniert das so, wie es soll. Bewegliche Teile sind nur der Schwimmer nebst Ventil und der Gasschieber mit Nadel. Dass der kantige Sprit mit der Zeit die Düsen aufreibt und zum Tausch veranlasst, ist natürlich Humbug.
Dennoch gibt es hässliche Fehler im Vergaser, selten jedoch aufgrund von "natürlichem" Verschleiß. So kann das Gummi des Startvergasers mit den Jahrzehten aufquellen und die Gängigkeit des Kolbens beeinträchtigen. Man kann dann mit einem Messer den Durchmesser verkleinern. Das muss nicht mal perfekt sein, denn die Funktionsfläche ist ja vorn. Oder man riskiert die 60ct für ein neues Gummi.
Zig mal Vergaser auf und zuschrauben bzw. an- und abbauen hinterlassen auch Spuren. Die Wannendichtung hindert nicht nur den Sprit am auslaufen, sondern dichtet auch die Kammer zum Steigrohr des Leerlaufsystems ab.
Kraft anstelle von Hirn kann auch dazu führen, dass sich der Flansch zum Ansaugstutzen verzieht und die Dichtung ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen kann. Aber selbst das kann man wieder plan feilen.
Übrigens haben alle Vergaserdüsen M5 Gewinde und lassen sich prima vertauschen. Die aufgeprägten Größennummern lassen sich oft schwer entziffern, was das verwechseln erleichtert. Die größte Düse (67-70) ist die Hauptdüse. Die kleinste steckt als einzige in der Vergaserwanne. Beim Zerlegen und wieder Zusammenbauen heißt es daher höllisch aufpassen. Das gilt im Prinzip auch für den Vorbesitzer unserer Simme, der uns damit an den Rand der Verzweiflung bringen kann.
Einen neuen Vergaser braucht aber normalerweise kein Mensch.